Wer hat nicht den märchenhaften Aufstieg des Engländers Paul Potts vom Handyverkäufer zum Opernstar mit Staunen verfolgt? Der dickliche Mann gewann recht überraschend die britische Variante von „Deutschland sucht den Superstar“, in dem er alle mit seinem Gesang zum weinen brachte. Auch Kreuzberg hat seinen Paul Potts. Noch allerdings ist dem etwas ungelenken und opernsingenden Tagesspiegelverkäufer der große Durchbruch nicht gelungen. Woran liegt das?
Nun, auch wenn man nicht vom Fache ist, man kann doch trotzdem Gründe dafür finden. Zunächst einmal: der singende Tagesspiegelverkäufer singt nicht ganz so gut, wie Potts. Eigentlich singt er nicht mal halb so gut. Zwar hört es sich zunächst noch entfernt nach Oper an, wenn der Tagesspiegelmann ansetzt, doch die Freude – „oh, schau mal, wie schön, Oper umsonst, und das hier, in dieser ollen Kaschemme“ – sie währt nur wenige Augenblicke. Bald schon kippt die Freude, bekommen die Gesänge etwas bedrohliches, so als ob der Mann eine Wand niedersingen wollte. Nach der meist kurzen aber heftigen Darbietung tritt ein Moment des peinlichen Schweigens ein. Einige klatschen verschämt, man kann vermuten – aus Angst. Andere kramen eilig nach Geld, sie wollen sich „freikaufen“ und lassen sich vom Tagesspiegel-Potts eine Zeitung aushändigen. Immer bedankt er sich freundlich, immer aber auch mit diesem stechenden Feuerblick, der einem das Blut in den Adern stocken lässt. Und hier sind wir auch schon beim nächsten Punkt angelangt, warum Tagesspiegel-Potts noch auf seinen Durchbruch warten muss: seinem Auftreten.
Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen – der singende Tagesspiegelverkäufer ist nett, sehr nett sogar und auch zuvorkommend. Und er macht auch seine Arbeit gut, seinen Nebenberuf muss man ja sagen, das Tagesspiegelverkaufen in Kneipen und Bars. Doch, es schlagen eben zwei Herzen in der Brust des Tagesspiegel-Potts. Und man spürt genau, dass das mit dem Zeitungsverkauf eben nur die zweitwichtigste Sache ist für ihn. Auf der Eins steht der Gesang. Es ist auch nicht so, dass er sich irgendwann mal gedacht hat: „Hm, hm. Meine Zeitungen werde ich also immer schlechter los. Ich könnte Opern singen und damit die kalten Herzen der Kundschaft erweichen, auf dass sie mir die Zeitungen aus den Händen reißen…“ – Nein, so war es bestimmt nicht. Der Tagesspiegelopernsänger singt Opern aus Leidenschaft. Und dazu, nun endlich wird auch der Bogen geschlagen zur Art seines Auftretens, muss der Tagesspiegelverkäuferopernsänger die Menschen auch beeindrucken. Durch Gesang UND Auftreten. Da es aber, wie oben beschrieben, schon am Ersten hapert, liegt die Vermutung nahe, dass es vielleicht auch am Zweiten mangelt. Ja, und so ist es leider bittere Wahrheit, auch das Auftreten des Opernsängertagesspiegelverkäufers hat etwas – – – na ja – – – Abgeknicktes, Abgebrochenes. Wenn er zur Tür hereingekommen ist, einen Stapel Zeitungen greift, die er in seinen linken Arm legt, und dann ansetzt zu seiner anklagenden Deklamation, wirkt es, als ob er abheben würde. In den siebten Himmel der Musik oder einen ähnlich entfernten Ort. Und zurück bleibt von ihm nur eine leicht gekrümmte Hülle, die noch immer die Zeitungen in der Hand hält. Sein Gesang aber ist mit dem Rest von ihm empor gestiegen.
Zum Schluß nur noch soviel: der Tagesspiegel-Potts möge seinen Durchbruch bald erleben, man gönnt und wünscht es ihm von Herzen. Und Zeitungen kaufen die meisten doch sowieso im Kiosk.
Wer den Kreuzberger Potts einmal hören möchte, muss sich nur in die Ankerklause setzen und warten. Er betritt meist nach dem Kerzenmann und vor der Frau mit den Blumen seine Bühne.
Bitte, bitte fortsetzen! Was ist etwa mit „Roberto Benigni“, der nachts belegte Brote verkauft? Oder lebt der Mann mit dem Dutzend Papageien auf dem Fahrradlenker noch? Auch an tote Kiezgrößen wäre zu denken…
Endlich mit Foto. Großartig! DankeDankeDanke! Auch für den Kerzenmann. Da werden schöne Erinnerungen wach bzw. warm. Diese Kolumne schreit nach Fortsetzung!!!
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Naturalienzahler
03/09/2010 at 17:23Er hat Karriere gemacht! Tritt am 26.9. im „Valentin“ (Hasenheide 49) auf. Programm: Schubert, „die schöne Müllerin“. Wohl bekomms!
Kiezzwerg
18/01/2009 at 22:39Bitte, bitte fortsetzen! Was ist etwa mit „Roberto Benigni“, der nachts belegte Brote verkauft? Oder lebt der Mann mit dem Dutzend Papageien auf dem Fahrradlenker noch? Auch an tote Kiezgrößen wäre zu denken…
fülliger Beobachter
06/11/2008 at 15:48Endlich mit Foto. Großartig! DankeDankeDanke! Auch für den Kerzenmann. Da werden schöne Erinnerungen wach bzw. warm. Diese Kolumne schreit nach Fortsetzung!!!
Pete
21/10/2008 at 17:47Exzellenter Artikel 🙂 Freue mich schon, den Herren einmal in Aktion zu erleben…wird sich vermutlich auch schon bald in pures Grauen verwandeln!