Hilfe, die Wutbürger kommen

Wutbürger. Diese unsinnige und doch treffende Umschreibung eines neuen Typus des Citoyen dürfte es Ende des Jahres wohl konkurrenzlos zum „Unwort des Jahres“ schaffen. Jetzt hat auch Kreuzberg seine Wutbürger. Und ihre Wut richtet sich ausgerechnet gegen die, die der Stadt sichere Einnahmen bescheren: den immer zahlreicher werdenden Touristen aus aller Welt.


Ausgerechnet im Lager der Grünen artikuliert sich zurzeit ein Protestruf, der auf den ersten Blick so gar nicht zum offiziellen Image dieser Partei passen möchte. Dirk Behrendt, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und Wahlkreuzberger seit fast 20 Jahren, lud die Kreuzberger zu einer Diskussionsveranstaltung unter der Überschrift „Hilfe, die Touris kommen“ ein und die Beteiligung war letzlich so überwältigend, dass man kurzerhand in einen größeren Raum umziehen musste. Im Verlauf des Abends drohte die Stimmung  irgendwann zu kippen. Immer ungeschminkter formulierten die zahlreich herbeigeeilten Anwohner, wie sehr sie unter den Folgen des nicht abreißen wollenden Touristenstroms leiden. Lärm, Alkoholexzesse – manchmal genügt schon das Geräusch rollender Koffer, um den Anwesenden die Zornesröte in die Gesichter zu treiben. Immer deutlicher wurde an diesem Abend, dass sich hier eine Wut entlud, die sich zuvor lange aufgestaut haben musste.

Nun könnte man sagen – gut, das Problem mit Lärm und speziell Partylärm ist nun wahrlich nicht neu. Erinnert sei hier nur an die schier endlosen Diskussionen, die um die sommerliche Admiralbrücke geführt wurden. Dort hatte man es zuletzt mit Mediatoren versucht, die zwischen feiernden Brückenbesetzern und frustrierten Anwohnern vermitteln sollten. Ergebnis: Versuch gescheitert. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Beinahe jeder Kreuzberger Kneipenwirt kann sein eigenes Lied zu Lärmanzeigen bei der Polizei singen. Das Problem also ist nicht neu – neu ist, dass es sich jetzt auch gegen eine Gruppe richtet, die für Berlins Überleben essentielle Bedeutung hat. So zumindest lautet die Losung, die Berlins Bürgermeister seit Jahren nicht müde wird zu wiederholen: Tourismus ist die einzige nennenswerte Einnahmequelle dieser armen Stadt. Alle politischen Bemühungen zielten und zielen darauf ab, dass Berlin die Wunderzahl von knapp 21 Millionen Übernachtungen im Jahr 2010 auch weiterhin erreicht.

Jetzt aber formiert sich zum ersten Mal hörbarer Widerstand gegen die weitere „Touristifizierung“ der Stadt und speziell Kreuzbergs. Den Kunstkampfbegriff „Touristifizierung“ haben sich die Tourismusverweigerer aus dem mittlerweile weithin bekannten Begriff der Gentrifizierung abgeleitet. Die sprachliche Nähe soll das Dringliche und Bedrohende einer Entwicklung andeuten, die jetzt also auch von denen ausgeht, die nur für ein paar Tage in der Stadt sind. Der Treppenwitz dieser Entwicklung: ausgerechnet auf einer Diskussionsveranstaltung der Grünen fällt jener Begriff.

Dirk Behrendt, Initiator der Veranstaltung, schreibt auf seiner Webseite: „Ich mag das Lebensgefühl in diesem Bezirk, der in mancherlei Hinsicht „anders“ ist: Das zeigt sich in der Vielfalt der Lebensentwürfe seiner BewohnerInnen und im alltäglichen Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft, sexueller Orientierung und Einkommen.“ Das sind zwar typische Sätze aus dem Lehrbuch für Politiker und doch müssen sie sich im Moment in der Realität bewähren. Behrendt und seine Kreuzberger Grünen scheinen in einem Zwiespalt gefangen: Wie die Wutbürger besänftigen, sich gleichzeitig aber weltoffen für die Berlintouristen zeigen? Der Widerspruch scheint fast unauflöslich. Die Bettensteuer für Billighotels jedenfalls wird das Problem – so es denn eines ist – sicher nicht lösen. Behrendt und andere Politiker aber müssen sich um eine Lösung bemühen, denn längst ist er da, der Wutbürger. Ob Stuttgart 21, Tempelhof, BBI und Flugrouten oder jetzt eben der unaufhörliche Zustrom einer „Generation Easy Jet“, die für ein paar Euro zum Feiern nach Berlin fliegt und keinen Sinn übrig hat für die Belange von Anwohnern – der Wutbürger wird bald zum ganz normalen Phänomen werden. Spannend bleibt, welche Antworten die Politik in Zukunft auf diese neue, radikalere Form der Bürgerbeteiligung finden wird. In Kreuzberg und anderswo.

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Kommentare

  • Auch nur 'ne Meinung
    02/03/2012 at 9:15

    Es ist mir klar, dass meine Meinung heftige Ablehnung hervorruft und zur Deutlichmachung meines Standpunktes generalisiere ich jetzt ziemlich stark, aber: Ich finde, Berlin ist vor allem in den vergangenen Jahren fremdenfeindlicher geworden. Als Ex-Berliner finde ich diese Schwabylon-Sache unerträglich (wohlgemerkt: ohne Schwabe oder Bayer oder sonst irgendein vermeintlich Begünstigter zu sein! Keinen Cent habe ich!). Im Grunde sind die Berliner genauso xenophob wie die Leute anderswo – jedenfalls dann, wenn man ihre Lebensweise nicht teilt. Die ist zugegebenermaßen freier als woanders, so dass ein größerer Spielraum besteht. Verlässt man diesen Toleranzbereich, wird es trotzdem ungemütlich. Klar kann man sagen: wieso sollten sich die Berliner unterscheiden von anderen Menschen? Weil es Teil ihres Selbstverständnisses ist, so unglaublich offen zu sein. So entpuppt sich dieses Selbstverständnis oft als Selbstillusion…

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