Das Thema verliert nie an Aktualität. Eigentlich wird es sogar immer aktueller. Wie funktioniert das Zusammenleben von Deutschen und Menschen mit Migrationshintergund und von Mittel- und Unterschicht in Kreuzberg heute, 2008? Die Antwort lautet knapp: recht gut. Die Klischees vom Problembezirk Kreuzberg decken sich in diesem Punkt nicht mit der Alltagsrealität. Auch wenn ein wirklicher und echter „Dialog der Kulturen“ selbst hier die Ausnahme ist – die Bilder pöbelnder U-Bahnschläger kommen aus München.
Wenn Kreuzberg in den letzten Jahren immer mehr an Anziehungskraft gewonnen hat, liegt das auch zu einem großen Teil an der hier herrschenden Atmosphäre von Toleranz und Gelassenheit. Neben der vielzitierten und auch tatsächlich existierenden kulturellen Vielfalt Berlins, die vor allem aber Kreuzberg prägt, den vielen „echten“ und unverstellten Orten, die entstehen und wieder aufgegeben werden, um neuen Ideen Platz zu machen, ist es gerade der praktizierte gegenseitige Respekt zwischen den verschiedenen kulturellen und sozialen Gruppen, der Kreuzberg so attraktiv macht. „Echt“ und unverstellt meint: nicht gespielt, nicht von Politikern oder Sozialarbeitern befohlen oder erfunden. Wir alle haben noch die Bilder anderer Städte im Kopf, die sich unversehens in Schlachtfelder verwandelten, weil die sozialen und kulturellen Differenzen zwischen „oben“ und „unten“, zwischen „einheimisch“ und „fremd“ den Grad höchster Spannung erreicht hatten und das schon poröse letzte Band, das Alle noch irgendwie zusammenhielt, endgültig laut knallend riß. Die „Los Angeles Riots“ von 1992, die Unruhen in den Pariser Banlieues vom letzten Jahr sind nur zwei Beispiele dafür. Und auch die schon erwähnten U-Bahnschläger und ihre letztlich unverständlich bleibende Tat gehören hierher.
Nun schauen sicher viele besorgt nach Kreuzberg und fragen sich: wird es auch hier so kommen? Ist dieser Stadtteil nicht prädestiniert, ein Unruhehort zu sein, ein Platz ständiger kultureller und sozialer Konflikte, die sich irgendwann gewaltsam entladen? Wenn nicht hier, wo dann? Die Antwort wurde schon gegeben und ist für Jeden leicht zu finden, der sich ein wenig umschaut hier. Wer sich im Sommer in eines der Kreuzberger Straßencafés setzt und die Leute beobachtet, die an ihm vorbeiziehen, wird merken, dass das Zusammenleben funktioniert. Denn, im Gegensatz zu Los Angeles, Paris, München, muss sich im Mikrokosmos Kreuzberg niemand seiner sozialen Benachteiligung oder kulturellen Herkunft „schämen“ – er fällt schlicht nicht auf. Sicher, die Probleme sind damit nicht gelöst. Doch schon viel ist damit gewonnen, dass sich keiner ausgeschlossen fühlen muss, nicht mehr teilnahmeberechtigt ist. Nicht auszudenken daher, würden die schlimmen Visionen derer Wahrheit, die Kreuzberg eine schwarze Zukunft malen. Von ausschweifender Gentrifizierung ist im Moment die Rede, von einem Stadtteil, der sein freundliches Gesicht verliert, weil die Mieten steigen und sich niemand mehr das Leben leisten kann. Zuerst betrifft dieser Prozeß diejenigen, die das Kreuzberg von heute prägen. Und wo ihr Platz dann sein wird, wird die Zukunftsvision vom wohlhabenden und erstarrten Stadtteil tatsächlich Wirklichkeit, weiß kein Mensch vorherzusagen. Und auch ob es dann noch friedlich bleibt, zwischen den verschiedenen kulturellen und sozialen Gruppen, weiß niemand zu prophezeien.
Bis jetzt noch heißt es: zusammen, zusammen! So sollte es bleiben.
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