Obama in Kreuzberg

Sie treffen sich regelmäßig im Traditions-Gasthaus Max und Moritz in der Oranienstraße – vor und auch nach der Wahl Barack Obamas zum Präsidenten der USA. „Sie“ – das sind die „Democrats Abroad„, Anhänger der US-Demokraten im Ausland. Nach der Berliner Rede ihres Idols haben einige von ihnen im Stillen gehofft, Obama werde seinen Weg auch nach Kreuzberg finden. Ins Max und Moritz und anstoßen mit ihnen auf seine Rede, die Berlin entflammt hat und auf die neue Zeit, die nun heraufzieht. Doch sie hofften vergebens. Obama kam nicht. Während die Democrats Abroad freudetrunken in Kreuzberg zusammensaßen, war der Hoffnungsträger schon auf dem Weg in sein Hotelbett. Am Tag darauf hob die „Obama One“ dann von Tegel ab und ließ sie alle in einem Rausch zurück, der bis heute anhält.
 
Jetzt, da die Wahl einige Tage alt ist und feststeht, dass ihn nichts aufhalten konnte auf seinem Weg ganz nach oben, keine manipulierten Wahlmaschinen, keine verirrten Nazis, keine dunklen Konspirationen, muss gefragt werden, was eigentlich soviele Hunderttausende in den Bann des Barack Obama ziehen konnte. In Kreuzberg, Berlin, Deutschland, Europa, der Welt. War es der Überdruss an einer blinden und bösen Politik des George W. Bush? Die Leichtigkeit, die rhetorische Gewalt Obamas? Die vage Hoffnung auf eine bessere Welt, die nur mithilfe der USA geschaffen werden kann? Oder war es am Ende gar das Bewußtsein, dass da jemand war, der mit einem entwaffnend einfachen „Yes we can“ in einen aussichtslosen Kampf gezogen war? Dass also ein totgesagter „Underdog“ drauf und dran war, das mächtigste Amt der Welt zu gewinnen? Denn, einmal ehrlich, bei vielen stellte sich am Ende dieses überlangen Wahlkampfs ein Gefühl der Müdigkeit ein. Zuviele Male schon hatte man das „Yes we can“ gehört – gesprochen, gerappt, geschrieben. Und zusehends auch wurde man das Gefühl nicht los, einen Wiedergänger Martin Luther Kings zu sehen, der sich einer fast gleichen Rhetorik bediente. Man fragte sich: War das „Yes we can“ etwa schon die ganze Antwort auf Alles, was nun vor Obama und der Welt liegt? War das alles nur ein Event um eine schöne, aber folgenlose Botschaft?
 
Wer die Berliner Rede Obamas gehört hat, war nicht hingerissen von ihrem Inhalt – er war es vom Auftreten des Charismatikers Obama, der winkend, lächelnd und ernst seine Rede wohlwissend in Berlin und nicht in London oder Paris gehalten hatte. Von Hoffnung war dort die Rede, von den Lehren, die aus der Berliner Mauer gezogen werden müssten und dem Kalten Krieg. Doch – welche Lehren sind das? Die wenigsten werden genau wissen, was Obama verändern wird und kann. „Kann“, vor allem. Dies ist der Zweifel, der trotz aller Sympathien für ihn übriggeblieben ist. Ob er das von Bush zerschlagene Porzellan jemals wieder zusammenfügen kann: die Verletzung der Menschenwürde vieler tausend Kriegsopfer, das gründlich zerstörte Vertrauen in die westlichen Demokratien, das gebeutelte Weltklima und die Spaltung der Welt in Gegner und Freunde Amerikas. Ein Tor wäre, wer Obama diese Fähigkeit nicht wünschte. Allein aus seinen aberhundert gleichlautenden Reden heraus kann man diese Fähigkeit nicht lesen.
 
Es scheint ihm ernst mit der Sache, und das ist wahrscheinlich das Wichtigste. Gerade nach der bleiernen Bush-Ära, dem clownesken Regime eines politisch Minderbegabten. Und dass es ihm ernst ist, ist auch der wahre Grund für die weltweite Euphorie, die bis ins Max und Moritz in Kreuzberg reicht. Hier werden sich die Democrats Abroad auch weiterhin treffen. Im Herzen eines seit jeher politischen Bezirks, der mit Bush sein größtes Feindbild verloren hat.
 
Man muss Obama mit nüchternen Augen sehen – abseits seiner routiniert vorgetragenen Selbstinszenierung. Und man muss ihm Zeit geben. Weder Vorschusslorbeeren, noch zu hohe Erwartungen werden die Probleme lösen helfen. Obama wird sich ab Januar beweisen müssen. Es bleibt zu hoffen, dass die Welt am Ende sagen kann: „Yes we can“.
Konstantin Vogas

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Kommentare

  • Momus
    13/11/2008 at 0:23

    Meine Herrschaften, bitte! Auch wenn es mitunter so aussieht: Die USA sind keine Diktatur, in der ein Mann alles bestimmt. Unterstellen wir auch dem designierten Präsidenten nur das Beste – auch wenn man heute doch fragen darf: was für Menschen gehen eigentlich noch in die Politik? – ist er nicht mehr als eine „Figur“, ein Produkt, ein Symbol oder eine Projektionsfläche, die vor allem eines ist: nicht Bush (oder das was wir von ihm durch die Medien wissen). Kurz gesagt: Das Werk lobt den Meister. Ohne Hoffnung aber offen für Überraschungen: wir werden es sehen.

  • moritz
    12/11/2008 at 11:59

    in seiner 1. amtszeit kann man nicht viel von ihm erwarten, er muss erstmal den ganzen MIST bereinigen, was sein Vorgänger produziert hat…

  • max
    11/11/2008 at 20:59

    ein guter beitrag! nur: der übliche pessimismus ist zwar eine gut gehegte tugend hierzulande, sollte sich doch in wenigen fällen aber auch mal verkniffen werden. niemand hat behauptet, dass obama gar ALLES verändern kann und wird, schon gar nicht in kurzer zeit. sofern politische veränderung überhaupt möglich ist, dann nur über eine hohe motivation der einwohner eines landes. und nur dies geschieht doch erst durch obama im moment. diese fähigkeit haben uns – bei aller infantilität – die amerikaner schon immer voraus. es kann eben NICHT oft genug wiederholt werden: yes we can. mehr leidenschaft bitte, herr vogas, und mehr vertrauen in die menschen. vielen dank. max.

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