Wie mag das wohl sein, wenn das eigene Gefährt zum ständigen Gefährten wird? Die Liebe zum eigenen Auto jedenfalls muss groß sein, wenn man sich für eines der Car Lofts in Kreuzberg entschieden hat. Noch ist das Haus unfertig. Doch Ende des Jahres wird es so weit sein. Dann werden die ersten Mieter in das fünfstöckige Gebäude einfahren, weiter in den Lastenaufzug, der sie und ihr Vehikel behutsam in die gewünschte Etage bringt. Dort angekommen, ist es dann buchstäblich nur noch ein kleiner Schritt vom Auto in die Wohnung, aber ein großer für die Menschheit. Denn ihren Schatz müssen die Loft-Mieter nun gar nicht mehr aus den Augen lassen. Er steht, nur durch eine Glaswand getrennt, mitten in der Wohnung. Welche Vorteile mag das bringen?, werden sich nun einige Ewiggestrige fragen. Über diese Frage können die Carloftpeople nur lachen. Auch wenn sie die Antwort vielleicht selbst nicht kennen. „Vorteile“ mag es ja auch wirklich keine geben, dafür eine Menge Vorurteile. Denn, und das ist die zweite große Frage, die sich hier stellt, warum gerade Kreuzberg? Und dann auch noch mitten im nicht gerade autovernarrten SO 36?
Ein paar Meter weiter, die Reichenberger Straße runter, wurde gerade ein Haus besetzt. Hier hat wieder einmal das altbekannte Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei begonnen. „Hass, Hass, Hass“, rufen die Autonomen, „Räumen Sie die Straße, oder Sie kommen in den Bereich polizeilicher Maßnahmen“, antwortet scheppernd die Polizei. Warum also gerade hier ein Car Loft? Ein wenig fühlt man sich an Südamerika erinnert. An die Megacitys, die so gefährlich geworden sind, dass die Reichen sich nur noch fliegend sicher durch die Städte bewegen können. Ihr Zuhause gleicht den Hochsicherheitstrakten von Gefängnissen.
Hoch über der Stadt oder in Reichen-Ghettos fristen sie ihr privilegiertes und doch armseliges Dasein in gated communities. Bewacht, 24 Stunden am Tag, von privaten Sicherheitsdiensten. Sicher, in Kreuzberg ist man weit entfernt von solchen Zuständen. Doch auch das Car Loft-Haus in der Reichenberger Straße wird über einen „Doorman“ verfügen. Und zu sinkenden Mieten in Kreuzberg wird die neue Klientel sicher auch nicht beitragen. Ist der Ärger also vorprogrammiert? Sind sogar Anschläge auf das Haus zu befürchten, so wie auf die Subway-Filiale in der Schlesischen Straße? Man wird sehen und gleichzeitig hoffen, dass das Projekt Auto-WG irgendwie aufgeht und sich integriert. Das heißt auch: dass es nicht weiter auffällt und zu unüberbrückbaren sozialen Spannungen führt. Die Chancen dafür stehen ja nicht schlecht. Denn die Autos verschwinden zusammen mit ihren Besitzern in Windeseile in den Wohnungen. Zweieinhalb Minuten braucht der Spezial-Lastenaufzug für Auto und Mensch. Und diese eine Sorge müssen sich die neuen Luxus-Mieter in Zukunft auch nicht mehr machen: Parkplatzprobleme sind für sie Schnee von gestern.
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13/10/2008 at 22:46Lieber Konstantin, lieber Christoph, darf ich darum bitten, daß meine langen Kommentare nicht immer kurz vor der Pointe abgeschnitten auf Eurer Seite erscheinen?
paolo
13/10/2008 at 21:11Ja, Hanuman, so ist es. Das haben wir von unserem „Neo-Liberalismus“. Das tief in der menschlichen Seele verankerte Streben nach eigener Grandiosität (letztlich nichts anderes als Ausdruck von Todesangst) läßt den Menschen schnell entgleisen. Wenn Broker am Computer einem Hedgefond mal eben per Mausklick 500.000.000 Dollar mehr vermeintliche Kredibilität verleihen können und für diesen Gefallen Boni von 150.000 Dollar Cash kassieren, müssen sie schon recht gefestigte Charaktere sein, um nicht dem Geruch der eigenen Grandiosität zu verfallen. Siehe auch: Weltwirtschaftskrise 2008. Ich bin weit davon entfernt, mich als Kommunist zu bezeichnen. Nur: Mit unserem Markt-Liberalismus werden soziale Konflikte nicht gerade geglättet. Der Preis der Freiheit ist eben zu hoch für eine Menschheit, die offenbar mit Freiheit nicht so recht umzugehen weiß. Unsere Welt besteht aus Unfreien, die sich vom geldgebenenem Grandiositätswahn einzelner weniger unterjochen lassen müssen. Als Arzt sag ich Dir: Mit oder ohne Car-Loft, am Ende vom Tag, am Ende eines „grandiosen“ Lebens, kommen sie alle zu mir, und dann werden wir sehen, wer noch grandios ist.
paulchen
13/10/2008 at 20:31„Berliner Luft“, der Begriff, der für das gesellschaftliche Klima der Stadt steht („wikipedia“), insbesondere für Zugereiste, diese Berliner Luft wird verpestet. Dennoch sollte man sich fragen: Gehört es nicht gerade zur Berliner Luft, daß eben neue Stile sich mit althergebrachten mischen? Ich denke: Solange in gewachsenen Stadtvierteln neue und alte Strömungen in gleichsam organischer, behutsamer und gerade deshalb ebenso gewachsenen Form mäandern, ist dies ein äußerst befruchtender Prozeß. Doch mit dem Vorschlaghammer Car-Lofts am Paul-Lincke-Ufer zu zementieren, ist der falsche Weg. Keiner wird gefragt, denn: „Wer zahlt, schafft an!“. Dieser Weg wird zu Entfremdung führen. Paul Lincke, der Meister der Berliner Operette, berühmt für seinen Walzer „Berliner Luft“, muß nun immer mehr bürgen für eine besondere Luft. Eine, die es einem immer schwerer macht zu atmen.
Pete
13/10/2008 at 15:48Angeblich gings bei dem Einsatz um die Ruhestörung, weil die Party zu laut war. Aber geil, dass die grünen Männchen dann gleich mit ner Hundertschaft und nem Wasserwerfer kommen 🙂
paulinchen
13/10/2008 at 5:01interessant. aber, eins hab ich beim stichwort „gentrifizierung“ noch nicht verstanden: warum wollen menschen mit derart elitären ergo verqueren stilvorstellungen in einem viertel wie kreuzberg überhaupt leben? ich würde doch annehmen, dass leute mit car-lofts in düsseldorf angeben möchten. oder ist es der „thrill“, in einem „berüchtigten“ stadtteil zu sein, aber oben in der warmen loft-bude den schampus kaltgestellt zu haben? dann sollen sie den thrill aber auch haben und ein paar aufs maul bekommen. ich als schlecht verdiendender assistenzarzt mit hang zu eckkneipen will jedenfalls nicht in beverly hills leben. es ist doch alles sehr rätselhaft.
Hanuman19
12/10/2008 at 19:57Guter Artikel zu einer boesen Sache!! Immerhin hat sich doch nun langsam mal rumgesprochen, dass SpekulantInnen eine sozial brisante Berufsgruppe sind und dringend unter die Aufsicht des Staatsschutzes gehören – immerhin gefährden sie nicht unerheblich und aus niederen Motiven die öffentlich Ordnung. Es zeigt sich an diesem Fall einmal mehr das Desinteresse der Politik an der Gesellschaftlichen Entwicklung und der (abgenutztes Wort) Ausverkauf der sozialen Marktwirtschaft zugunsten eines asozialen Liberalismus. Kreuzberg ist sicher kein Ghetto oder Zoo, dessen bisweilen eher spießig-nostalgischer Charme um jeden Preis auf dem Status von 1990 erhalten werden sollte. Doch ebenso wie sich Dahlem und Grunewald bedanken würden, setzte man ihnen eine 20stöckige Plattenbausiedlung ins Herz, wäre auch in Stadtteilen Behutsamkeit angebracht, die weniger Lobby im Senat besitzen.