… sang die Gruppe Kraftwerk 1981 und griff damit ein Thema auf, das zu diesem Zeitpunkt gar nicht wirklich aktuell war. Erst sechs Jahre später, anlässlich der großen Volkszählung von 1987, wurde den Meisten bewusst, dass der Staat und mit ihm unzählige andere staatliche, halbstaatliche und private Institutionen damit begonnen hatten, alle nur verfügbaren Daten deutscher Privathaushalte zu sammeln und auf unbestimmte Zeit zu speichern. George Orwells oft zitierte Schreckensvision vom vollkommen durchsichtigen Bürger war mit einem Mal keine abstrakte literarische Fiktion mehr, sondern Wirklichkeit. Und doch ging der Plan erstmal schief. Die Deutschen, sonst alles andere als Rebellen, verweigerten in großer Zahl die Preisgabe persönlicher Daten. Manche logen, andere planten, ihre Türen vor den Volkszählern zuzumauern. Und wie so oft stießen die Datensammler gerade in Kreuzberg auf besonders hartnäckigen Widerstand – hier fiel die Volkszählung quasi aus. 2010 soll es die nächste Volkszählung geben. Ob dann mit genauso heftigem Widerstand zu rechnen ist? – Wohl kaum.
Diesmal nämlich werden die statistischen Angaben auf andere Art erhoben. Nur ein Teil der Bevölkerung wird überhaupt mit Interviewern in Berührung kommen, der größte Teil des Datenmaterials wird über andere Wege beschafft. Ausgewertet werden unter anderem die Melderegister und die Datensätze der Bundesagentur für Arbeit. Allein hierüber lässt sich ein recht genaues Bild deutscher Privathaushalte zusammenfügen. Damit zeigt sich, wie „gläsern“ jeder Einzelne längst ist. Wer jemals einen Pass oder Personalausweis erhalten, seinen Wohnort oder seine Arbeitslosigkeit den Behörden gemeldet oder einen Strom-, Gas- oder Telefonanschluss beantragt hat, der ist im feinmaschigen Daten-Netz erfasst und gut lokalisierbar. Das Internet als universales schwarzes Datenloch, das Nichts und Niemanden vergisst, einmal außen vorgelassen. Wie oft warnen die Datenschützer davor, allzu sorglos mit persönlichen Angaben umzugehen. Und doch ist es in Wahrheit beinahe schon unerheblich, was man im Netz von seiner Identität noch preisgibt. Peinliche Partyfotos sind eine Sache, die lückenlose und stille Erfassung jedes Einzelnen eine ganz andere. Längst nämlich gleichen die Institutionen rege und unbeobachtet alle möglichen Daten untereinander ab. Geburtsdatum, Name und Vorname reichen aus, um jeden überall wiederzufinden. Bundesinnenminister Schäuble, der regelmäßig wegen seiner Vorstöße zur weiteren Lockerung des Datenschutzes in die Schlagzeilen gerät, sagt, es sei notwendig zuverlässiges Datenmaterial zu haben um dem Staat Milliarden zu sparen. Es fragt sich aber, ob dieses Datenmaterial – von der Geburts- bis zur Sterbeurkunde – nicht schon längst vorhanden ist . Wozu also noch Geld ausgeben für etwas, das es schon gibt?
Das Ganze ergibt keinen rechten Sinn. Nein, es scheint vielmehr, als ob mit der neuen Volkszählung das schon vorhandene Netz aus Namen, Geburtsdaten und Wohnorten noch feinmaschiger gewebt werden soll. 1987 wurde in Kreuzberg zum Boykott der Volkszählung aufgerufen, die Befragung gestört und behindert bis hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Paradoxerweise regt sich seit der Anküdigung des neuen Zensus‘, in einer Zeit also, in der viel eher als Mitte der 1980er Jahre Anlass zur Sorge um die Sicherheit intimster Informationen besteht, kein erkennbarer Widerstand. Entweder also ist Kreuzberg heute ein weitgehend entpolitisierter Stadtteil, oder aber die Bewohner dieses Bezirks haben sich ergeben in die Unausweichlichkeit einer allumfassenden Preisgabe persönlicher Daten. Soviel ist jedenfalls sicher: Finanzamt und das BKA haben längst unsere Daten da.
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