Tempelhof entsorgen

Und jetzt? – Tag eins nach der Schließung des Flughafens Tempelhof. Der letzte Spaßflug, der mit einer Handvoll Wehmütigen an Bord ein paar letzte Kurven im Himmel über Berlin gedreht hat, ist gelandet. Kein Motorenlärm weht mehr herüber nach Kreuzberg. Das rot blinkende Warnlicht des Radarturms ist abgeschaltet. Der Gigant hat sich schlafen gelegt. Wenn er eines fernen Tages wieder aufwacht, wird er sein Gesicht nicht wieder erkennen. Man wird nun mit Stift und Zirkel, später mit Preßlufthammer und Harke, die betonierte Freifläche aufreißen und schließlich eine neue Landschaft ausbreiten – dort, wo einst ein Flughafen stand.

Das ist schlimm, sagen die Gestrigen, die noch versucht haben, Hitlers Größenwahn zu konservieren. Doch, einmal ehrlich, am Ende war Tempelhof nur noch ein Spielzeugland der Schönen, Reichen und Eiligen. Unermüdlich wiederholten die „Befürworter Tempelhofs“ in jedes Mikrofon, das ihnen hingehalten wurde, dass das Wahnsinn sei – London baue einen City-Flughafen und Berlin gebe seinen einfach so auf. Und die Geschichte, ja, die Geschichte erst. Die Rosinenbomber, die kleinen Schokoladetäfelchen, die auf die vom Krieg zerrütteten Kinder herabregneten, die Berlin-Blockade… Die alten Bilder wurden beschworen, der Mythos Tempelhof immer wieder aufs Neue durchgekaut, nur um den Status Quo zu erhalten. Der Status Quo hieß: ein armes Berlin und sein teures Geschichtserbe – ein Flughafen, der nichts einbrachte außer warmen Gedanken. Vernünftig dagegen sei es, sagten die Anderen, in die gleichen Mikrofone, diesem zwar schönen, aber nutzlosen Verkehrsbetrieb Tempelhof endlich den Saft abzudrehen. Schon nämlich wird am eigentlichen Flughafen gebaut, draußen in Schönefeld. Wer wollte denen nicht recht geben?

Wer einmal eine Besichtigung in Tempelhof mitgemacht hat, weiß, wie groß dieser Flughafen eigentlich ist. Dass der größte Teil hinter den Fassaden des riesigen Hallen-Halbrunds nie fertig gebaut wurde. Tempelhof ist zum Großteil Rohbau. Von Anfang an eine Fehlplanung – richtig dimensioniert nur für die, denen Germania schon vor Augen stand. Verstört, von soviel ausufernder Gigantomanie, zogeTempelhof entsorgenn die Amerikaner zuallererst einmal Zwischendecken in die hochaufragende Architektur, die gebaut worden war, um einzuschüchtern. Der Eingangsbereich des Zentralgebäudes wurde nach dem Krieg auf normales Maß gebracht. Nach und nach baute die US-Luftwaffe, die Tempelhof Jahrzehnte als Luftwaffenstützpunkt nutzte, Kammern in den Hitler-Bau, um das Gebäude für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Eine Basketballhalle, eine Kantine, einen Kontrollraum. Doch selbst die Mentalität des „think big“ konnte den vielen Raum, der in Tempelhof zur Verfügung stand, nicht im Ansatz füllen. Bis heute erstreckt sich ein gespenstisches, unterirdisches Labyrinth unter dem Flughafen – Katakomben, Luftschutzkeller, ausgebrannte Archivräume, die Wände abwechselnd bemalt von den Luftschutz-Suchenden der Berliner Bombennächte und russischen Soldaten, die vor den Amerikanern hier waren, um Tempelhof einzunehmen. Auch in den Treppenhäusern der Seitenflügel herrscht gähnende Leere.

Nein. Auch, wenn es für Einige bitter sein mag, Tempelhof hat ausgedient. Schon 1993, nicht erst gestern. In dem Jahr, als die Amerikaner Hals über Kopf aus Tempelhof abzogen, hinterließen sie nicht nur ratlose und ängstliche deutsche Flughafenangestellte, sondern auch ein klaffendes Loch. Mit einem Schlag wurde den Berlinern, die nun wieder uneingeschränkten Zutritt hatten, die Dimension des Unternehmens bewusst. Es erforderte viel Kraft, viel Geld, um den ausgehöhlten Giganten am Leben zu halten. Das meist menschenleere Terminal war der beste Beweis dafür, dass hier nurmehr Mythos waltete, aber längst kein Nutzen mehr. Eines ist andererseits aber auch klar – ohne Flugbetrieb, als Landschaftspark, als Wohnanlage, wird Tempelhof zwangsläufig in Vergessenheit geraten. Schulklassen, die dereinst hierher kommen werden, um sich die noch stehenden Hallen anzuschauen, werden keinen Bezug mehr herstellen zu dem, was Tempelhof abseits seines betriebswirtschaftlichen Widerspruchs immer war: ein sehr besonderer Ort. Denn der Geist des Flughafens Tempelhof ist zusammen mit dem letzten gestarteten Flugzeug abgehoben. Ob das bedauerlich ist, muss dereinst die Schulklasse entscheiden, die hierher gekommen ist, um sich die noch stehenden Hallen anzuschauen.

Konstantin Vogas

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Kommentare

  • Anonymous
    09/11/2008 at 22:41

    naja, so kurzfristig sind die überlegungen ja nun nicht gewesen in diesem fall…sonst mag ich dir recht geben: die abrissbirne wird oft vorschnell geschwungen. seien wir ehrlich: tempelhof war überholt, eine geldverschleuderungsmaschine, unrentabel, zu sehr im stadtgebiet gelegen, und historisch steht die monumentalität und das ausmaß der architektur nicht unbedingt im verhältnis zu seiner bedeutung. da muß man abwägen. hier ist dann nach langer überlegung schon der richtige entschluß gefallen. man kann nicht alles retten.

  • tempelhofer
    09/11/2008 at 12:34

    es ist nicht der erste und auch nicht der letzte historische Ort der aus kurzfristigen Überlegungen zerstört wird.

  • Quax der Bruchpilot
    07/11/2008 at 1:17

    wohnt ihr am flugplatz? Neiiiiiiiiiiiiiiiiiiiin, *zisch* neeeeeeeein. Spaß beiseite, ich wäre froh, wenn über meinem Haus keine Flieger mehr lärmend lang fliegen würden. Gruss Quax der Bruchpilot

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