Beschreibung
Im Herbst und Winter ist das Engelbecken kein einladender Ort. Die aschefarbene Wasserfläche des ehemaligen Hafenrunds hebt sich kaum von den umgebenden Gebäuden ab. Passanten, die den Ort nicht kennen, nehmen die Anlage erst gar nicht wahr. Ein Fehler. In den Sommermonaten, genauso aber im Herbst oder Winter nämlich lohnt es sich hierher zu kommen. Nicht nur, weil das hier ehemaliges Sperrgebiet der Berliner Mauer ist. Nein, die Geschichte dieses Ortes reicht viel weiter zurück. Bis zu der Zeit, als hier noch Schiffe anlegten und quiekende Kinder badeten.
Das Engelbecken lag lange Jahrzehnte im Schatten des Eisernen Vorhangs, nicht anders, wie der angrenzende Bethaniendamm. Die Mauer verlief an dieser Stelle und kein Mensch in Kreuzberg kam auf die Idee, hier "Naherholung" zu suchen. Das zurückgekehrte Leben heute - ein Café, ein wenig Schilf an der Böschung und der Kiesweg mit den schrägen Wiesenflächen - ist letztlich dem Bezirksamt zu verdanken, das das Engelbecken 2006 umgestalten ließ. Doch seine alte Bedeutung als Hafen und Anlegestelle wird das Engelbecken wohl nie mehr haben. Warum auch? - die Aufbauleistung der Luisenstadt ist längst getan.
Hafen war die Anlage lange: von 1852 bis 1926, dem Jahr, als Arbeiter die nutzlos gewordene Fahrrinne, die von der Spree hierher führte, endgültig zuschütteten. Danach überlegte man, was hier geschehen soll. Und wie es heute in Berlin nicht anders ist, schnurrten die beschlossenen, hochfliegenden Pläne letzlich zu einem Minikompromiss zusammen. Aus dem erdachten Tropenpark wurde nichts. Zwar entstand ein Park, aber keine Parklandschaft, es fehlte ganz einfach das Geld. Ein zweites Mal begraben wurde das Engelbecken dann 1948. Unter Tonnen von Kriegsschutt verschwanden der indische Garten, der Spielplatz und ein Schwimmbad. Bis 1989 ist hier Ödnis, die nebenan verlaufende Mauer zerschneidet Kreuzberg und Mitte.
Das langsame Erwachen beginnt dann erst wieder lange nach der Wende und mit den eigentlichen Bauarbeiten 2006. Man will den Zustand von vor dem Zweiten Weltkrieg wiederherstellen, Wasserfontänen und staunende Gesichter eingeschlossen. So recht hat das alles bislang nicht hingehauen. Ein wenig steril ist das Engelbecken an manchen Tagen, selbst mit grünen Rändern und dem kleinen Café mit der breiten Sonnenterrasse. Aber genau hierin liegt merkwürdigerweise sein Charme. Wie so oft in Kreuzberg und Berlin im Ganzen, ist man überrascht einen solchen Ort zu finden. Jedem, der hier zum ersten Mal ist, wird es so gehen. Wie aus dem Nichts die Wasserfläche: ein See, ein Hafen? Die, die hierher kommen in den Sommermonaten, um sich auf die Rasenflächen zu legen, oder ein wenig zu spazieren, vorbei an der Buddhastatue, hoch zum Oranienplatz, wissen um den eigenartigen Reiz dieses Ortes. Auch ohne die Geschichte zu kennen. "Drüben" ist dann schon Mitte. "Drüben" geht die Stadt weiter. Hier aber scheint an guten Tagen den ganzen Tag die Sonne in die Senke. Und abgeschottet ist man, da man tiefer liegt als die Stadt ringsum. Wahrscheinlich wird das alles also nichts mehr, mit dem Vorkriegszustand - und wenn, wäre das sogar schade. Denn es wäre ein anderer Ort, ein künstlich wiederbelebter. So aber zeigt das Engelbecken seine Fehler, vielleicht sind dies die Geschichtswunden aus Industrialisierung, Krieg, Mauer und Vergessen. Ein wenig Gras erst ist hierüber gewachsen. Aber das reicht schon.
Werner
14/05/2019 at 21:06Ganz nett…